Lieber Lederhose mit einer handfesten Halben statt Laptop mit Latte Macchiato und sonstigem Kokolores. Umgekehrt wird mancher urbane Kreativtäter bei dem Thema latent amüsiert überlegen, wie denn nun ein nachgerade konstitutives Momentum des Urbanen, die innovationsdynamische creative class im Resonanzraum von Alpenidylle und Brauchtumskultur zu den innovativen Ideen kommen soll - kurz: Wer kann es sich schon leisten, Berlin mit einem Bergdorf zu tauschen?
Leider ist die Ausgangslage für eine Debatte über Kultur- und Kreativwirtschaft in Berggebieten gar nicht so weit entfernt von dieser sicher überzeichneten Frontstellung. Die Klischees leben gut, die Vorurteile sind stabil. Stabil ist damit aber auch die Blockade eines möglichkeitsoffenen Denkens mit Blick auf das, was Kultur- und Kreativwirtschaft in Berggebieten denn überhaupt meinen könnte. Und da setzt creativeALPS an - entlang von lebendigen Beispielen, neuen Experimenten und Mischungen von ungewohnten Konzepten mit neugierigen Milieus. Prototyp von creativeALPS war das von der Phase XI geförderte creativeALPS-lab. In dem Rahmen wurde mit interessanten Akteur_innen über das gängige Denken der Alpen nachgedacht und neue Wege für neue Szenarien erprobt. Dabei stand folgende Arbeitshypothese am Anfang: Kultur- und Kreativwirtschaft in Berggebieten braucht andere Rezepte als jene, die im urbanen Zusammenhang genutzt werden. Deshalb sind Modelle nötig, die das spezifische Potential der Berggebiete für die Kultur- und Kreativwirtschaft und - ganz wichtig- UMGEKEHRT erkennbar werden lässt.
Lieber Lederhose mit einer handfesten Halben als Laptop mit Latte Macchiato.
Damit ist vor allem eines gemeint: Freiraum mit spezifischen Atmosphären, Zeit und Traditionsquellen, die durch neue Mischungen von Erfahrungs- und Erwartungshorizonten transformative Potentiale freisetzen - soziokulturell genauso wie ökonomisch. Die also den Vorstellungszusammenhang, was Berge und Lebensformen in den Bergen sein können, produktiv irritieren. Auf eine Formel gebracht: kollektive Klischeedekonstruktion durch kultur- und kreativwirtschaftliche Expertisen als Bedingung der Möglichkeit, dem Alpenraum neue Perspektiven einer nachhaltigen Entwicklung zu geben.
Zum Begriff Freiraum: Der kann einerseits ganz gegenständlich verstanden werden - im Sinne realer Räumlichkeiten, die es in Form von Leerstand in vielen Bergregionen im Überfluss gibt. Zugleich aber ist auch ein atmosphärisch zum urbanen Zusammenhang komplementärer Raum angesprochen, der für viele Kreative und Kulturschaffende an Bedeutung gewinnt. Nicht im Sinne eines klischierten Gegenmodells zur Stadt und ihren Qualitäten, sondern als Möglichkeitsraum dafür eine zweiheimische Lebensform anders und im Vernehmen mit den unterschiedlichen Qualitäten vor Ort zu etablieren, als das im Rahmen von Sommerfrische, Ferienwohnung oder anderen Versionen des Temporärexils möglich ist. Und: solcherart entstehende montanurbane Milieus können zu lokalen Kollateraldynamisierungen führen, Neues entstehen lassen.