Im urbanen Zusammenhang ist es ja quasi zum Standard geworden, mit Kreativen räumliche Aufwertung zu betreiben, so in etwa funktioniert das typische Narrativ: Durch neue, trendstiftende und attraktive Milieus mit entsprechenden informellen Atmosphären, die günstige Mieten für Wohnungen und Projektspaces sowie auch sonst einen gewissen soziokulturellen Gestaltungsspiel- und Ideenoptionsraum für unkonventionelle Lebensformate vorfinden.
Wieder- oder Umnutzung bestehender Infrastrukturen beseelen das entsprechende Quartier neu, soziale Brennpunkte werden durch neue Bewohnergemische entschärft, ggf. neue Arbeitsplätze in den creative industries und der Dienstleistung generiert etc. Bis die Sache dann umschlägt und die jeweilige Stadt ein neues Wohlfühlviertel für einkommensstärkere Schichten hat, weshalb aus der initialen Neuerschließercommunity nur die Bobo-Fraktion mittelfristige Bleibeperspektiven hat und die prekären Erschließer andernorts mit einem Stadtteilupgrading an den Start gehen. Soweit diese beliebte und zuweilen auch wirklich reale Story. Denn in der Tat generieren solcher art in Wert gesetzte Stadtteile ein Mehr auf den Skalen der unterschiedlichen Kapitalsorten -sozial, kulturell, ökonomisch und symbolisch. Zu mindest im Licht eines wirtschaftsgetriebenen Stadtentwicklungskonzepts macht das also schon Sinn. Ein anderes beliebtes und vielgebrauchtes Strategienarrativ wäre dasjenige, das mit dem Standortfaktor Kultur- und Wissen schaft operiert: Neue Museen, Konzerträume und Musicalhallen, Festivals oder Hochschulen und Forschungseinrichtungen sollen das Image der Stadt positiv prägen, einschlägige Commu nities anziehen und wiederum neue ökonomische Produktivität generieren - sei es auf dem Tourismusmarkt, der Startup-Szene oder durch die Schaffung eines für High Potentials und ihrer Arbeitgeber attraktiven Umfelds.
Nun lässt sich vermuten, dass auch in Berg gebieten solche „upgrade"-Narrative möglich sind - und der Bedarf nach soziokultureller und ökonomischer Dynamisierung nicht selten mindestens genauso groß und in der Sache ,,existentieller" ist als in Städten. Konkret gesprochen geht es nämlich in vielen Berggebiets gemeinden darum, durch den Zuzug von in der Kultur- und Kreativwirtschaft sozialisierten Gründern und Machern der Abwanderung und damit dem drohenden Verschwinden von ganzen Gemeinden (und nicht nur der „Sanierung" eines Problemviertels) entgegenzuwirken. Aus verlassenen Liegenschaften sollen, so die Idee, pulsierende Ortszentren gemacht werden und en passant der Erhalt bzw. die Wiederherstellung oder der Ausbau grundlegender Infra- und Versorgungsstrukturen folgen. Denn anders als in den meisten Städten sind in Berggebieten die Infrastrukturen der Daseinsvorsorge keine Selbstverständlichkeit. Der Erhalt von Nahversorgung, ärztlicher Versorgung, Kindergarten und Schule, der Busanbindung, schwierig zu unterhaltender Zufahrtstrassen usw. stellt viele Gemeinden vor große Probleme. Und mit jedem Wegfall einer der genannten Komponenten wird für die, die vor Ort bleiben ein Negativanreiz gesetzt dafür, dies auch weiterhin zu tun . Eine an nicht wenigen Orten zu beobachtende Abwärtsspirale: die lokale Volksschule wird geschlossen, die Frequenz im öffentlichen Nahverkehr reduziert, der kleine Laden macht dicht, der Weg zur bezahlten Arbeit wird immer länger - wieviele junge Familien werden dann noch bleiben wollen oder gar zuziehen? Vor diesem Hintergrund stellt jeder zusätzliche Einwohner insbesondere aus der jüngeren Generation einen Gewinn dar, weil er als Argument für die Zukunftsfähigkeit der jeweiligen Gemeinde dienen kann. Vor diesem Hintergrund sind also „spatial upgrading"-Strategien durch die gezielt geförderte Ansiedelung kultur - und kreativwirtschaftlicher Milieus mit ihren Potentialen zur Raumaneignung und -gestaltung durchaus naheliegend.
Gleiches gilt für den Standortfaktor Kultur, Bildung und Wissenschaft: auch hier werden die Rezepte aus den Städten aufgegriffen. Die Zahl der Festivals in Berggebieten ist in den vergangenen Jahren sprunghaft gestiegen, Hochschulen schaffen Campusstrukturen oder Seminarhäuser im alpinen Umfeld und die gezielte Entwicklung von Kulturangeboten mit touristischem Mehrwert gehört mittlerweile auch schon zum Standard im zeitgenössischen Destinationsmanagement. Soweit so gut.
Mindestens genauso prominent wie ökonomische Parameter sollten hier Begriffe wie Lust, Mut und Engagement, Erfindungsreichtum, Gründergeist und Experimentierfreude sein(...)
Es wäre aber schade, wenn kultur - und kreativwirtschaftliche Aktivitäten in Berggebieten auf diese Varianten des „Sanierungskatalysator Narrativs" beschränkt blieben und damit die Betrachtung auf eine vorrangig ökonomisch gedachte Entwicklungshilfe beschränkt bliebe. Denn wie in den Stadtentwicklungsdebatten ist diese Perspektive zwar sicher legitim, sollte aber die Sicht auf andere, mindestens genauso interessante Aspekte und Effekte der Kultur und Kreativwirtschaft nicht verstellen: Die soziokulturellen Kollateraleffekte, die weit über die Entstehung neuer „Trendquartiere" oder „Trendvillages" usw. hinausgehen. Mindestens genauso prominent wie ökonomische Parameter sollten hier Begriffe wie Lust, Mut und Engagement, Erfindungsreichtum, Gründergeist und Experimentierfreude sein oder, anders gesagt - die Bezugnahme auf Fragen wie die, was ein Leben zum guten Leben macht. Fragen, Anliegen und Motivationen also, die dazu führen, dass sich Menschen die Gestaltungshoheit der eigenen Lebensumwelt aneignen und da für bekömmliche Formate des Arbeitens und des Wohnens kreieren, die nicht mehr von der Dichotomie Stadt-Land, Zentrum-Peripherie, Tradition-Moderne usw. grundiert sind. Kurz - es gilt, über das ökonomische Entwicklungsvokabular hinausgehende Denk- und Vermittlungskonzepte zu mobilisieren und das Potential zum Experiment als Quelle für Regionalentwicklung in Berggebieten fruchtbar zu machen und es zugleich in den urbanen Diskurs hineinzuspiegeln. Ein Beispiel für ein solches Experiment ist die Zukunftsakademie Rätikon ', die im kleinen Graubündner Bergdorf Schuders im Sommer 2017 als Pilotprojekt durchgeführt wurde: ein Experiment, bei dem sechs junge Künstler, Architekten und Wissenschaftler für drei Wochen zusammen mit der lokalen Bevölkerung an Zukunftsszenarien gearbeitet haben. Ein in diesem Zusammenhang entstandenes Projekt ist das Netzwerk leerstehender Schulhäuser, das diese mittels eines kuratierten Vermittlungsmodells wieder von Leer- zu Lehrräumen machen will.